Verletzungspech über Verletzungspech - Der Hallesche FC im Gegnercheck
Aktuelle Lage
„Wir können noch gewinnen“, sagte ein erleichterter Rico Schmitt nach dem ersten Heimsieg seit elf Heimspielen am vergangenen Samstag. Mit 2:1 hatte seine Mannschaft den SV Wehen Wiesbaden besiegt. Was für viele Teams ein ganz normaler Sieg in der 3. Liga ist, war für den Halleschen FC ein großer Befreiungsschlag. Denn die Mannschaft von Trainer Rico Schmitt war saisonübergreifend seit 12 Ligaspielen ohne eigenen Sieg. Gegen Wiesbaden agierte Halle bissig, versuchte vornehmlich mit langen Bällen vor das Tor der Hessen zu kommen. Wehens Trainer Rüdiger Rehm konsternierte nach dem Spiel: „Heute hat nicht die bessere Mannschaft gewonnen, sondern die effektivere.“
Und genau das müssen die Hallenser sein: effektiv. Denn Halle geht momentan auf dem Zahnfleisch. Acht Langzeitverletze, darunter Kreativgeist Toni Lindehahn und Mittelfeldmotor Royal-Dominique Fennell, fehlen den Hallensern und müssen noch einige Wochen passieren. Immerhin meldete sich Kapitän Klaus Gjasula nach seinem Mittelfußbruch in einem Testspiel zurück. Und die Rückkehr ihres Kapitäns ist für die Hallenser von extremer Notwendigkeit. Denn: Trotz des Sieges gegen Wehen Wiesbaden steht der HFC, trotz guter Leistungen, mit nur einem Sieg aus den ersten sieben Spielen auf dem 14. Tabellenplatz. War es in den vergangenen Jahren noch die Offensive, die den Hallensern Probleme bereitet hat, so ist bisher die Defensive die vermeintliche Schwachstelle der Sachsen-Anhalter. Der HFC stellt mit 15 Gegentoren die bisher schwächste Abwehr der Liga.
Gegen die Fortuna möchte der HFC nach dem Achtungserfolg gegen Wehen Wiesbaden eine Erfolgsserie starten. Die Bilanz zwischen den beiden Teams ist dabei sehr ausgeglichen: Aus sechs Spielen konnten beide jeweils eins für sich entscheiden, vier Mal endeten die Begegnungen remis. Für keines der beiden Teams gab es bis jetzt einen Heimsieg. Der letzte Hallenser Erfolg gegen die Fortuna gelang im April 2016: 2:0 hieß es am Ende für die Sachsen-Anhalter im Südstadion. Für Rico Schmitt war es damals das erste Spiel als Chefcoach des HFC.
Halle geht auf dem Zahnfleisch
Dass Schmitt in Halle sehr geschätzt wird, erkennt man nicht zuletzt an der Reaktion der Vereinsbosse nach dem mäßigen Saisonstart. Eine Trainerdiskussion kam nämlich trotz der mageren Punkteausbeute nie auf. Angesprochen auf die schwierige Situation zu Saisonbeginn sagte Präsident Schädlich: „Niemand außer Rico Schmitt wäre in der derzeitigen Situation, wo fast alle Leistungsträger ausfallen, in der Lage aus den verbliebenen Spielern noch eine wettbewerbsfähige Mannschaft zu formen". Um diese Aussage zu verstehen muss man sich das Ausmaß des Verletzungspechs der Hallenser anschauen. Schnell wird klar: Präsident Schädlich hat Recht. Denn dem HFC fehlen momentan fast alle Leistungsträger der vergangenen Saison. Spielmacher Toni Lindenhahn ist der Kreativkopf des HFC und absolvierte vergangene Saison 31 Ligaspiele. Innenverteidiger Fabian Franke war bis zu seiner Achillessehnenoperation eine Stammkraft in der Innenverteidigung. Royal-Dominique Fennell erzielte vergangene Saison fünf Tore und legte vier weitere auf. Auch er fehlt den Hallensern mit einer Fersenverletzung wochenlang. Die Liste könnte noch beliebig weitergeführt werden. Man merkt also schnell: Der Hallesche FC geht auf dem Zahnfleisch. Angesichts der langen Verletztenliste erscheinen sechs Punkte aus den ersten sieben Spielen fast schon solide.
Es gibt neben all den Negativschlagzeilen aber auch gute Nachrichten: Kapitän Klaus Gjasula steht nach einem Mittelfußbruch im Mai kurz vor der Rückkehr. Im Testspiel gegen den Verbandsligisten Blau-Weiß Dölau stand der etatmäßige Kapitän das erste Mal seit seiner Verletzung für 90 Minuten auf dem Feld. Der 27-Jährige ist als Aggressiv-Leader und Stütze im defensiven Mittelfeld enorm wichtig für Halle.
Die Offensive klickt, die Defensive nicht
Mindestens genauso wichtig wie die Rückkehr der verletzten Stammspieler ist dieses Jahr die funktionierende Offensive der Hallenser. Bereits 12 Mal traf der HFC diese Saison und besitzt damit die drittbeste Offensive der Liga. Als jedoch Dreifachtorschütze Benjamin Pintol mit einem Einriss in der Fußsehne ausfällt, steht der HFC vor einer schwierigen Frage: Wer soll ab jetzt die Tore schießen?
Die Antwort darauf ist schnell gefunden – und sie kommt durch einen Spieler, den nur noch wenige auf der Rechnung hatten. Petar Sliskovic schoss den HFC nicht nur am vergangenen Wochenende mit seinem Tor zum wichtigen Sieg über Wehen Wiesbaden, der 26-Jährige ist mit vier Treffern auch Top-Torjäger seiner Mannschaft. Rico Schmitt lobte seinen Schützling nach dem Spiel gegen Wehen Wiesbaden in den höchsten Tönen: "Ich habe schon im letzten Herbst gesagt, dass Petar seinen Weg machen wird. Er ist ein Synonym dafür, dass es im Fußball immer weitergeht", sagte Schmitt über Sliskovic. In der Tat kommt die Formsteigerung des Kroaten etwas überraschend. Denn vergangene Saison hatte Sliskovic einen schweren Stand an der Saale. Erst nach seiner Leihe zu Mainz 05 II und sechs Toren in der Rückserie schaffte er es, diese Saison in Halle wieder Fuß zu fassen. Dabei glänzte der Kroate gegen Wiesbaden nicht nur als Torschütze, sondern auch als Ersatzkapitän und erfüllte diese Rolle sehr solide.
Das große Sorgenkind ist bis dato also nicht wie erwartet die Offensive, sondern die Defensive der Hallenser. Dieses Jahr stehen nach sieben Spielen bereits 15 gegnerische Treffer zu Buche. Im Vergleich dazu: Zum selben Zeitpunkt der vergangenen Saison waren es nur acht. Die Ausfälle der Stabilisatoren Franke, Gjasula und Fennell machen sich deutlich bemerkbar.
Im Fokus: Erik Zenga
Auch deswegen hat der HFC kurzfristig reagiert und Erik Zenga verpflichtet. Der 24-Jährige Mittelfeldspieler wurde für ein Jahr vom SV Sandhausen ausgeliehen und soll im Mittelfeld für die nötige Kreativität und Stabilität sorgen, die durch den Ausfall von Fennell entstanden ist.
Was viele nicht wissen: Der in Russland geborene Zenga kam erst mit fünf Jahren als Asylsuchender nach Deutschland. Zwischen seinem 5. und 13. Lebensjahr lebte Zenga mit seinen Eltern in einem Asylheim – Für Zenga „eine richtig tolle Zeit, die ich nie vergessen werde. Das Wort Asylheim mag für viele schlimmer klingen, als es dort tatsächlich war. Ich habe dort Freunde fürs Leben gefunden.“ Sein fußballerisches Talent ist schnell erkennbar. Bayer Leverkusen sichert sich die Dienste des talentierten Mittelfeldakteurs. Ab 2008 durchläuft Zenga diverse Jugendmannschaften von Bayer Leverkusen, 2013 spielt der Mittelfeldmann für ein Jahr auf Leihbasis beim VfL Osnabrück. Dort gelingt ihm der Durchbruch in der 3. Liga: Zenga absolviert 30 Spiele für die Niedersachsen und geht nach einem Jahr zurück nach Leverkusen. Als Bayer 2014 aber seine U23 vom Spielbetrieb abmeldet, ist es für Zenga Zeit zu gehen: „Bei mir reichte es damals nicht für die Bundesliga“, sagte er später.
2014 geht es für ihn schließlich zu Preußen Münster. Auch bei den Münsteranern ist Zenga unumstrittener Stammspieler und macht bis zu seinem Syndesmosebandriss am 23. Spieltag fast jede Partie. Seine guten Leistungen bleiben kein Geheimnis und viele höherklassige Vereine werden auf den jungen Mittelfeldmann aufmerksam. Der SV Sandhausen nimmt Zenga 2015 schließlich unter Vertrag. Doch für den SVS absolviert der 24-Jährige in zwei Jahren nur ein Spiel in der 2. Bundesliga, denn Sprunggelenksprobleme und ein Muskelfaserriss setzen ihn fast die gesamte Saison 2015/2016 außer Gefecht. In der darauffolgenden Spielzeit schafft es der 24-Jährige auch wegen Trainingsrückstandes kaum in den Kader. Dass Zenga das Talent für die 2. Bundesliga besitzt, steht außer Frage. Beim Halleschen FC soll er Spielpraxis sammeln und dabei den Sachsen-Anhaltern helfen, eine weitere solide Saison in der 3. Liga zu spielen. Mit einem zentralen Mittelfeld aus Gjasula, Fennell und Zenga sollte dies für die Hallenser auf jeden Fall möglich sein - sollte man vom Verletzungspech langsam verschont werden.