Fortuna reist an die Bremer Brücke - Der VfL Osnabrück im Gegnercheck
Aktuelle Lage
"Aufgeben gibt's nicht. Bis zum letzten Spieltag hauen wir uns rein". Dieses Zitat von Ersatzkapitän Christian Groß nach dem 0:0 gegen die Sportfreunde Lotte steht exemplarisch für die momentane Situation des VfL. Man wollte diesmal die Früchte einer starken Hinrunde ernten: Diese hatte man auf einem soliden dritten Platz beendet, nur drei Punkte hinter Spitzenreiter Duisburg. Doch seit einigen Wochen können die Jungs von der Bremer Brücke ihre Leistung nicht mehr konstant in Punkte umwandeln. Sechs Siege, drei Remis, sieben Niederlagen, Platz zehn in der Rückrundentabelle – so lautet die Bilanz der Elf von Joe Enochs im Jahr 2017. Mannschaften wie etwa Holstein Kiel oder der MSV Duisburg haben sich inzwischen recht deutlich von den Niedersachsen distanziert – und das, obwohl der VfL gegen beide Mannschaften im direkten Duell punkten konnte. Die entscheidenden Zähler zur Spitze ließ man gegen kleinere Teams liegen. Speziell die beiden Heimniederlagen gegen Mainz II und Werder Bremen II schlagen derzeit ins Kontor. Auch das jüngste Remis gegen die Sportfreunde Lotte könnte am Ende zu wenig sein.
Der VfL muss auf einen Ausrutscher der Konkurrenz aus Regensburg oder Magdeburg hoffen und selbst jedes Spiel gewinnen, um den Relegationsplatz noch erreichen zu können. Der Glaube ist bei Trainer Joe Enochs aber ungebrochen, schließlich habe man im Fußball schon einiges erlebt - speziell an der Bremer Brücke. Der Relegationsplatz, der für zwei Entscheidungsspiele gegen einen Zweitligisten berechtigt, ist nach wie vor in Reichweite. Laut Enochs sind solche Spiele, einmalige Erlebnisse. Entsprechend wird der Glaube an sein Team für dieses Ziel sein. Somit braucht der VfL Osnabrück im Kampf um den Aufstieg jeden Punkt - schließlich wäre man auch bei drei Siegen auf die Ergebnisse der anderen angewiesen.
Harte Arbeit, gutes Scouting
Harte, ehrliche Arbeit – dafür steht der VfL und die Bremer Brücke. Optimal für die Osnabrücker, dass sie einen Experten auf diesem Gebiet bereits in ihren Reihen haben: Joe Enochs, Trainer und seit über 21 Jahren Lila-Weißer. Enochs ist mit 358 Spielen noch immer Rekordspieler des VfL. Der US-Amerikaner wurde durch seine offene Art und seinen unbedingten Siegeswillen zu seiner aktiven Zeit absoluter Publikumsliebling und versucht, diese Mentalität auch an seine Mannschaft weiterzugeben. Doch für den Aufstieg braucht man nicht nur mental starke Spieler - sie müssen auch kicken können. Dafür sorgt dieses Jahr besonders die gute Scoutingabteilung der Niedersachsen. Der VfL hat wieder ein vielversprechendes Team zusammengestellt, in dem Spieler, die aus eher unteren Ligen kommen, sich in den Vordergrund gespielt haben. Neben Shootingstar Wriedt, gekommen vom Lüneburger SK Hansa, sind da besonders Rechtsverteidiger Nazim Sangare (Fortuna Düsseldorf II) oder Linksaußen Jules Reimerink (Viktoria Köln) zu nennen. Gerade der 27-Jährige Niederländer ist voll eingeschlagen, fehlt seinem Team in den kommenden Wochen aber auf Grund eines doppelten Bänderrisses im Knöchel. Für den ganz großen Wurf fehlen vielleicht auch noch 1-2 gestandene Leistungsträger, die in den engen und vor allem entscheidenden Saisonspielen den Unterschied ausmachen können. So sagte Linksverteidiger Alexander Dercho unlängst im „kicker“, er wünsche sich einen Achter, „der neben der Zweikampfstärke und der Laufbereitschaft unserer Jungs hohe individuelle Klasse nach vorn hat.“ Die Osnabrücker haben es trotzdem geschafft, eine schlagfertige Truppe auf den Platz zu bringen, die bis zum Ende um den Aufstieg mitkämpft. Ein Faktor ist dabei auch die extreme Heimstärke: In der osnatel-Arena konnten die Niedersachsen von bisher 17 Spielen elf für sich entscheiden, mit 35 Punkten steht man auf Platz drei der Heimtabelle – noch vor Spitzenreiter Duisburg.
Leistungsträger fallen aus
Zu knabbern haben die Niedersachsen allerdings am Verletzungspech: Reimerink avancierte mit seinen Sprints und gefährlichen Flanken sofort zum Leistungsträger – vier Tore und vier Vorlagen sprechen eine eindeutige Sprache. Nach zwei gerissenen Bändern im Sprunggelenk wird er erst einmal fehlen. Die Qualitäten von Kapitän und Stürmerstar Halil Savran sind bekannt, allerdings ist er diese Saison auch besonders verletzungsanfällig. Der 31-Jährige fiel bereits in der Hinrunde mit einem Mittelfußbruch aus, nach seiner Rückkehr machte er mit starken Leistungen auf sich aufmerksam – sogar so sehr, dass der „kicker“ ihn, trotz der langen Zwangspause, als besten Stürmer der 3 .Liga einstufte. Kein Wunder, erreichte der Angreifer in nur 12 Saisonspielen acht Scorerpunkte (vier Tore, vier Assists). Doch nach der Winterpause gab es den nächsten Schock: Knorpelschaden im Knie - das Saisonaus für Savran stand bereits im Januar fest. Der Ausfall ihres Kapitäns wiegt für die Osnabrücker schwer, da er als Typ die Richtung mit vorgibt. Umso höher ist die bisherige Saison des VfL zu bewerten.
Im Fokus: Kwasi Okyere Wriedt
Ein Faktor für die erfolgreiche Osnabrücker Saison ist Kwasi Okyere Wriedt. Er ist der Shootingstar der aktuellen Drittligasaison. Mit insgesamt 19 Torbeteiligungen (elf Tore, acht Assists) steht der 22-Jährige auf Platz sieben der Scorerliste – punktgleich mit etablierten Drittliga-Spielern wir Christian Beck, Hamdi Dahmani oder Matthias Morys. Der junge Deutsch-Ghanaer hat damit auch den Ausfall von Kapitän Savran, so gut es geht, wettgemacht und ist auf dem besten Weg, sich auch in den Fokus von höherklassigen Teams zu spielen.
Begonnen hat für „Otschi“, wie er von vielen genannt wird, alles in seiner Hamburger Heimat. Die verließ er erst mit dem Wechsel nach Osnabrück im vergangenen Sommer – zuvor kickte er schon für den FC St. Pauli II. Der Klub von der Reeperbahn ist auch heute noch der große Traum des Stürmers: „Früher habe ich wie wohl jeder andere in den Jugendteams lange gehofft, einmal am Millerntor für den FC St. Pauli spielen zu dürfen. Aufgrund verschiedener Umstände hat sich das aber leider nie ergeben, sodass ich den Umweg über Lüneburg eingeschlagen habe.“
In Lüneburg machte Wriedt höherklassige Vereine schnell auf sich aufmerksam, bei 23 Toren und der Torjägerkanone in der Regionalliga Nord nicht verwunderlich. Den Wechsel in die 3. Liga habe er bewusst getroffen, langsam wolle er sich weiterentwickeln – diese Chance sah er in Osnabrück am besten gegeben. Denn die Lila-Weißen bemühten sich schon früh um den jungen Stürmer, der dieses Vertrauen jetzt mit starken Leistungen zurückgibt: „Die Wahl fiel auf den VfL Osnabrück, weil sich Joe Enochs und Co. schon im Januar 2016 erstmalig um mich bemüht haben. Dort fühlte ich mich gleich richtig aufgehoben, das Bauchgefühl stimmte. Das war mir wirklich wichtig“. Sein Bauchgefühl scheint richtig gewesen zu sein. Wriedt macht regelmäßig mit starken Auftritten auf sich aufmerksam, ist athletisch, robust, hat einen gefährlichen linken Fuß aber auch ein ausgeprägtes Kopfballspiel. Er ist mit seinen Aktionen einer für die Überraschungsmomente beim VfL. Sein großes Ziel bleibt weiterhin die Bundesliga, bereut habe er den Wechsel nach Osnabrück aber nicht. Schritt für Schritt soll es für den gebürtigen Hamburger nach oben gehen – wenn der Weg konstant so weitergeht, sind "Otschi" und dem VfL keine Grenzen gesetzt.